Logbuch aus dem Amazonas

von 1. September 2018

Per Schiff von Belem nach Manaus

Am Abend vorher

Gestern Nachmittag, es war Dienstag, kamen wir in Belem an. Hier soll unser Schiffabenteuer Nr. 2 in die Dschungelmetropole Manaus beginnen. Laut Infos gibt’s ein Schiff am Donnerstag und dauert sieben Tage. Da drauf wollten wir und deshalb fuhren wir zur Transportgesellschaft um uns zu erkundigen. Diese meinten: Ja klar das geht. Wollt ihr gleich heute oder erst morgen los? – Was?! Äh also ja klar dann heute. Wann gehts los? – Sofort, sie sind schon am verladen…
Zwei Tage früher als gedacht sind wir auf dem Schiff.

 

Tag 1

Der Truckfahrer hinter uns meint, er leihe uns seinen Eimer um unser Auto zu waschen, das gehe ja gar nicht, so schmutzig. Finden wir ja auch, aber gestern ging‘s plötzlich schnell. Nach gefühlten 100 mal Eimer aus dem Fluss aufs Deck ziehen und stundenlanger Putzerei glänzt unsere Black Lady wieder. Lenny würde sich gleich nochmals in sie verlieben.
Laut unseren Infos dauert die Fahrt sieben Tage. Doch die Meinungen gehen auseinander. Es ist die Rede von acht bis zehn Tagen! Ui, ob unsere Wasser- und Biervorräte so lange reichen?! Wir werden‘s sehen und halten uns vorerst etwas zurück mit trinken. Nicht so wie andere, welche schon nach dem ersten Tag rumtorkeln. Das kann ja noch lustig werden… oder eben auch nicht.
Auch etwas nervös machen mich die drei mit Gewehren bewaffneten Männer, welche gegen Abend die Ufer mit Scheinwerfern absuchen. Es habe viele Piraten hier, sagt man uns. Vor allem in den ersten zwei Tagen, bzw. Nächten sei die Gefahr am grössten. Ääh, das find ich jetzt irgendwie gar nicht lustig. Vor allem weil unser Auto zuvorderst steht.
Dafür haben wir hier auch eine tolle Aussicht. Zum Bespiel auf die Delphine, welche vor dem Bug auftauchen. Oder den wunderschönen Sonnenuntergang.
Die Stimmung ist gelöst. Das Essen, das wir kriegen, bisher gut. Und die Dusche nach einem heissen Tag an Deck eine wohltuende Erfrischung. Ich sitze zuvorderst auf dem Floss und geniesse die freie Sicht auf den Fluss vor mir. Nach dem brütend heissen Tag kühlt mich ein lauer Wind. Still und ruhig gleiten wir in die Nacht hinein, während einer der Fahrer seine Guitarre hervorholt und noch etwas singt. Der erste Tag ist geschafft. 

 

Tag 2

Ich hab noch gar nicht erzählt, auf was für einer Fähre wir mitfahren. Zusammen mit ca. 20 Lastwagen werden wir auf einem Balsa, also einem grossen Floss transportiert. Hinten ist ein Kutter angemacht, welcher uns schiebt. Wir stehen ganz vorne, wo etwa 50 cm vor uns die Plattform ohne Geländer endet. Also freie Sicht auf den Amazonas – und freier Fall in den Fluss.
Nebst mir sind nur noch drei weitere Frauen an Bord. Aber immerhin. Eine davon ist die Mutter eines Fahrers. Sie ist dabei um für ihn zu kochen. Und weil wahrscheinlich sein Vater ohne die Mutter nicht sein kann, ist der auch gleich mit dabei. Die alte Frau ist total herzlich. Ich verstehe leider kein Wort das sie zu mir sagt, aber sie tätschelt mir immer die Schulter, lächelt mich an oder drückt mir etwas zu essen in die Hand. Die zweite ist die Ehefrau eines Fahrers, welche nun, da die Kinder gross sind, mit ihm mitfährt. Und die dritte ist 24 jahre jung, nach einer gescheiterten Eheschliessung auf dem Heimweg nach Manaus und heisst Carolin.
Auch sonst sind alle extrem nett und hilfsbereit. Schade einfach, dass wir so wenig verstehen. Sie erklären uns immer wieder alles mögliche, und wir versuchen dann den Inhalt zu erraten. Mit Händen und etwas Spanisch geht‘s irgendwie.
Heute war grosser Waschtag. Dazu holt man sich wieder mit dem Kübel Wasser auf das Floss hoch und wäscht dann die Kleider darin. Man darf einfach nicht daran denken, dass der Fluss auch als Entsorgung für alles mögliche dient… Aber immerhin riecht es wieder nach Seife. Und der Ponton ist geschmückt mit Wäscheleinen.
Hifi hat weiter das Auto geputzt. Bald ist auch das letzte Sandkorn von der Küste wieder draussen.
Ich sitze am Bug und beobachte die Schwalben, welche spielerisch im Wind vor uns tanzen. Der Fluss ist heute sehr schmal und man sieht viele Behausungen an den Ufern. Sogar ganze Dörfer mit Kirchen, Schulen und Schiffswerften. Gegen Mittag biegen wir dann endlich in den eigentlichen Amazonas ein. Ab hier verbreitert sich der Fluss wieder.
Die Truckfahrer haben gestern Shrimps von einem Fischer abgekauft. Nun rufen sie jedem Fischerboot zu, ob sie welche haben. Doch heute hatten sie kein Glück. Mir ist es recht, dann liegen auch weniger Shrimpsköpfe auf dem Deck rum.
Am Abend überrascht uns ein Gewitter. Zuerst zucken die Blitze über den Himmel. Und dann, innert Sekunden bricht ein Wasserschwall über uns herein. Es reicht gerade noch, um ins Auto zu springen und alle Fenster zu schliessen. So endet der zweite Tag triefend nass. 

 

Tag 3

Heute ging‘s mir nicht so gut. Den ganzen Tag hatte ich einen Rumpelmagen. Das Essen vielleicht? Oder doch das Zähneputzen mit Flusswasser? Hoffentlich ist es morgen wieder vorbei. Jedenfalls habe ich mich heute nur von unseren Vorräten ernährt. Denn das Essen hier hängt mir schon jetzt zum Hals raus. Mittags und Abends immer das gleiche: weisser Reis, Bohneneintopf, blosse Spaghetti und irgend ein undefinierbares Stück Fleisch.
Die Hitze setzt uns ganz schön zu. Es ist über 40 Grad und oftmals fast kein Wind. Da lümmelt man lustlos im Schatten rum oder hängt in der Hängematte. Zudem müssen wir achtgeben dass wir uns gut vor der Sonne schützen. Wenn das so weitergeht, gehen wir als braungebrannte Brasilianer von Bord.
Regelmässig durchbricht wieder ein Motorendröhnen die Luft. Um die Batterien zu laden und die Klimaanlage laufen zu lassen. Und es sind viele Laster auf dem Schiff. Es dröhnt also fast immer einer. Aber zumindest in der Nacht herrscht Ruhe. 

 

Tag 4

Heute geht es mir wieder besser. Doch ich bin nicht die einzige, die Durchfall hatte. Offensichtlich war wirklich das Essen nicht gut. Nun kochen immer mehr Leute selbst. Auch wir kratzen unsere Resten zusammen und kochen lieber selber. Leider haben wir nicht voll eingekauft, da wir ja von Verpflegung ausgingen. Aber es ist erstaunlich, was man mit so wenig noch alles zaubern kann. Und wir werden immer wieder von andern mitverpflegt.
Nur das Trinkwasser wird etwas kritisch. Normalerweise hält es für sechs Tage oder etwas mehr, wenn wir sparsamer sind. Aber da wir nicht wissen, wie lange die Reise dauert…
Immer wieder werden wir von andern Schiffen und Frachtern überholt und wir fragen uns, ob wir wohl ein besonders langsames Schiff erwischt haben?!

 

Tag 5

Heute ist Sonntag. Hifi hat gestern extra noch einen Zopf gebacken. Die alte Frau hat ihn grad vor Freude umarmt, als er ihr ein Stück brachte.
So langsam habe ich die meisten Sachen auf meiner To-Do-Liste erledigt: Bericht schreiben, Fotos sortieren, Kleider flicken, am SARASANI (einer meiner Aufträge, welche ich von unterwegs mache) arbeiten, …
Heute durfte ich Hifi sogar die Haare schneiden. Bisher hat er mir das nicht zugetraut. Aber es war wirklich dringend nötig und so schlecht hab ich‘s nicht gemacht. Er ist jedenfalls auch zufrieden.
Wenn man hier etwas tun will, dann möglichst vor dem Mittag. Denn ab dann ist die Hitze so drückend, dass man bis kurz vor Sonnenuntergang nur noch faul rumhängt.
Abends sitzen dann alle vorne am Deck. Man plaudert, hört etwas Musik und schaut den rosaroten und grauen Delphinen zu, welche immer wieder kurz auftauchen. Der Alkoholkonsum hält sich zum Glück in Grenzen und bisher gab es keine Ausschweifungen. Nur einer trinkt immer erwas über den Durst. Doch die andern schauen immer gut zu ihm, damit er nicht von Bord kippt. Dafür, dass das alles Truckfahrer sind, ist der Umgang – anders als von mir erwartet – sehr gesittet und entspannt. 

 

Tag 6

Heute ist es bewölkt und dadurch kühler. Immer mal wieder regnet es ein bisschen. Und plötzlich kommt es Schwallartig daher. Dafür haben wir nun keinen Trinkwassermangel mehr. Innert Minuten füllen wir die leeren Kanister mit Regenwasser, das sich in unserer Sonnenblache fängt. Im wahrsten Sinn des Wortes ein Geschenk des Himmels.
Gestern hat ein kleines Boot etwas Fisch und Bananen verkauft. Als Bezahlung haben sie Diesel bei einem Laster abgezapft. Offenbar die geschätztere Währung hier als Geld.
Wir haben gerade erfahren, dass der Lastwagen hinter uns Schokolade transportiert. Ich bin sicher, Hifi plant schon heimlich einen Überfall. 

 

Tag 7

Heute gibt’s nicht viel neues zu berichten.
Der Fluss ist seit Tagen sehr breit, doch wir fahren dicht am Ufer entlang. Der grüne Dschungel zieht an uns vorbei und immer mal wieder ein paar Häuser oder sogar kleine Städte. Es erstaunt uns, wie viele Leute da wohnen.
Abends bei Dämmerung kommen immer für ein-zwei Stunden die Moskitos. Doch ansonsten halten sie sich zum Glück in Grenzen. Heute blitzt es häufig am Horizont. Ob es morgen wohl wieder regnet?
So langsam wären wir froh, wenn wir bald ankommen. Doch es wird ziemlich sicher noch einen weiteren Tag brauchen. 

 

Tag 8

Der letzte Tag bricht an. Heute war es wieder sehr regnerisch und wir konnten erneut die Kanister füllen. Dass wir mit sauberem Auto, gefüllten Kanistern, gewaschener Wäsche und frischem Haarschnitt von Bord gehen würden, hätte ich auch nicht gedacht.
Im Vorfeld hatte ich einige Bedenken zu dieser Reise; ob ich mich langweile, ob ich die Hitze aushalte, wie die sanitären Anlagen sind, ob das Essen schmeckt, …
Aber bis auf das Essen war alles sehr angenehm und ich habe die Ruhe der Tage genossen. Es war eine sehr schöne Erfahrung. Apropos Ruhe: Piraten haben wir zum Glück keine angetroffen.
Am Abend sind die Lichter von Manaus beteits sichtbar am Horizont. Dennoch wird es noch einige Stunden dauern, bis wir ankommen. Es ist ein bisschen wie am Ende einer Lagerwoche. Alle sitzen zusammen vorne an Deck, die Stimmung ist ausgelassen, und die Guitarre am klimpern. Und so fahren wir fröhlich singend und tanzend Manaus entgegen. 

 

Angekommen

Etwa ab vier Uhr morgens beobachte ich aus dem Bett, wie die Lichter von Manaus nun ganz nah an uns vorbei ziehen. Eine volle Stunde brauchen wir noch, um Manaus zu umfahren und auf der andern Seite den Hafen zu erreichen.
Das Andocken und Ausrichten am Steg wirkt etwas unkoordiniert, als ob sie es das erste Mal machen. Als wir dann endlich festgemacht sind, fährt keiner los. Warum denn? Erst jetzt wird uns gesagt, dass der Hafen erst um sieben Uhr öffnet. Na toll, dann hätten wir ja noch länger im Bett bleiben können! Schlussendlich wurden wir dann um halb acht endlich raus gelassen und wir stürzen uns direkt in den Grossstadtdschungel von Manaus.